Fremdes Leben

So unbequem war sein Leben bisher eigentlich nicht.
Er hatte immer die Zeichen der Zeit verschlafen.
Er musste lachen, als er sich erinnerte:
"Er wollte gar nicht laufen lernen" sagte seine Mutter "und sprechen sowieso nicht."
Das war lustig.

Er ist immer noch lustig; und er krabbelt heute manchmal noch auf allen Vieren
durch die Wohnung. (Er kann nicht so lange aufrecht gehen, wie seine Eltern und
seine Freunde und all die Anderen.)

"Seine Augen waren so seltsam an Allem interessiert, aber er sagte nie etwas."
Seine Klassenlehrerin hatte früh resigniert; und seine Es-Frau erzählte in ihrer
Therapiegruppe immer so gerne und so laut, dass er nie ein richtiger Mann sein wollte.

Sicher, er weiß es längst:
Marathon, Kurzurlaub, Biergarten, Workshop, Therapie; Fitness-Studio, Parkettboden,
Berner Sennenhündin, freier Mitarbeiter, Edelstahlkochtopf, eigene Homepage, eigener
Lebensentwurf; Rotwein, Rotwein usw…..

Sicher, es gab auch Zeiten, in denen er etwas wollte:
Als er 5 war zum Beispiel, da wollte er seiner Tante Irma immer unter den Rock schauen;
Oder mit 14; da wollte er, dass seine Geographie-Lehrerin, Frau Schöne, seine Freundin wird.
Und noch später, während seiner Ehe: da ist er immer so gerne in diese Porno-Kinos gegangen.

Unerreichbarkeit! Er liebte diese Unerreichbarkeit.

Aber jetzt!
Seitdem er diese Frau kennengelernt hat - nein, seitdem ihn diese Frau kennengelernt hat!

Er hat sich bisher nie geschämt. Bisher war er immer nur traurig – oder lustig – oder eben
unerreichbar; aber geschämt hatte er sich nie.

Ach! Sie wird ihm nicht gut tun. Das spürt er schon; und auf sein Gespür hat er sich immer verlassen.

Er wird nicht mit ihr gehen;
wird nicht mir ihr sprechen;
und wenn sie es will, wird er nicht wirklich antworten.

Er wird sich auf sein weißes Pferd setzen,
eine Malboro anzünden
und mit der Sonne am Horizont
langsam untergehen.



burkhard weisz

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